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Auslautverhärtung: Grad = Grat, aber Bad =/ Bat

"Stimmt es wirklich" wurde ich im vergangenen Sommer von einer venezolanischen  Deutschschülerin gefragt, "dass man im Deutschen "Rad und Rat gleich ausspricht? Aber Radhaus und Rathaus nicht?"

 

Nun muss man wissen, dass dieses Radhaus tatsächlich existiert, ehe man sich verzweifelt die Haare rauft: Es handelt sich um ein relativ großes Geschäft in der Nähe meiner ehemaligen Schule, das Fahrräder reparierte und Zubehör an den Mann brachte. Ein Wortspiel sollte es wohl sein, aber eben eines, das eine Diskussion lostrat, bei der ich irgendwann nur noch den dicksten Tafelmarker der Schule zur and nehmen und "Auslautverhärtung!" an die Tafel schreiben konnte.

Diese Auslautverhärtung, die dafür verantwortlich ist, dass sich in "d" am Wortende wie ein "t" anhört, und ein "g wie ein "k" (ausgenommen, es handelt sich um eine Endung auf "-ig", wie beispielsweise bei "König" oder "wichtig"; dann nämlich, liebe Deutschlernende, wird "ig" wie "ich" ausgesprochen. Standardsprachlich zumindest). Und sie trägt ebenfalls die Schuld daran, dass wir uns beim Sprechen so mancher Fremdsprache immer ein wenig Deutsch anhören, egal, wie sehr wir uns abmühen. Allerdings kann man der Auslautverhärtung auch nicht jeden Aussprachefehler in die Schule schieben, denn zum typisch deutschen Akzent tragen zahlreiche weitere Faktoren, wie beispielsweise Sprachmelodie im Satz, eine in einigen Dialekten durchaus vorkommende Anlautverhärtung (Karage statt Garage), die fehlende Unterscheidung zwischen hartem und weichem "sch", sowie eine gewisse Unsicherheit bei Lauten bei, welche zwar im Deutschen ebenfalls existieren (ä und e beispielsweise), aber dort (im Gegensatz zum Englischen) klar durch deutliche Zeichen voneinander zu unterscheiden sind). Wir sollten die Auslautverhärtung auch deshalb nicht zum Sündenbock erklären und am Aschermittwoch in der Kölner Innenstadt verbrennen, weil wir sie dringend benötigen um einigermaßen Akzentfrei Sprachen wir Russisch, Tschechisch, Polnisch oder Türkisch sprechen zu können. Dort gibt es dieses Phänomen nämlich auch.

Wenn ich hier so frei heraus vom "Deutschen", "Türkischen" oder "Polnischen" spreche, so muss ich darauf aufmerksam machen, dass ich damit stets die Standardsprache meine. Im Süddeutschen oder im Österreichischen klingt das nämlich schon ganz anders. Also: Dialektsprecher aller Länder vereinigt euch. und dann verzeiht mir bitte alle im Pulk, dass ich nicht jeden Dorfdialekt erwähnen kann. Nicht etwa, weil es euer Dort nicht Wert wäre, sondern ganz einfach weil es mehr Dörfer gibt, als ich abtippen kann.

 

Noch einmal in Kürze also: Die Auslautverhärtung betrifft weiche (stimmhafte) Konsonanten am Wortende, die zu ihren stimmlosen Verwandten überlaufen  und somit "hart" ausgesprochen werden. Bei Komposita, wie dem bereits erwähnten Radhaus, befindet sich das "d" aus "rad" dann nicht mehr am Wortende und wird somit, im Gegensatz zum "d" am Ende des alleinstehenden Wortes "Rad", auch nicht verhärtet ausgeprochen.

Betroffen von der Auslautverhärtung im (Standard-) Deutschen sind die folgenden Laute:

 

Klusile/Plosile/Plosivlaute

  •  [b] (wird zu [p])
  •  [d] (wird zu [t])
  •  [g] (wird zu [k]) 

 Frikative/Reibelaute

 

  • [v] (wird zu [f])
  •  [z] (das weiche "s" ) wird zu [s])
  •  [ʒ] (das weiche "sch") wird zu [⁠ʃ⁠])

 

sowie die Kombination aus d und  dem weichen sch (wird zu etwas, das sich wie "tsch" anhört, wobei es dieser Laut ohnehin schwer hat, da er im Deutschen so eigentlich nicht vorkommt).

 

Grundsätzlich sind diese Laute im Deutschen ebenfalls phonetisch relevant, was bedeutet, dass sich Verwechslungen einstellen können, wenn man sie durcheinanderbringt.

 Wenn mir beispielsweise jemand sagen würde "Meine Jeans reisen nach dem Waschen immer so schnell", dann würde ich mich schon fragen, wohin es die Hosen denn so eilig haben.

Allerdings besteht ja auch ein eklatanter Unterschied zwischen einem Rat und einem Rad, nur haben wir die Auslautverhärtung derart verinnerlicht, dass wir uns nicht irritieren lassen, sondern den Kontext zu Hilfe nehmen. Wir verstehen also nicht nur aufgrund des Artikels, dass uns jemand einen Rat und nicht ein Rad geben möchte, wir setzen die Auslautverhärtung quasi als Faktor mit voraus und ziehen sie hinterher vom Ergebnis wieder ab. Sprachliche Mathematik eben.

Problematisch wird es nun, wenn zwei Sprachen aufeinandertreffen, von denen eine ihre Auslaute verhärtet (ent-stimmhaftet, um von der englischen Bezeichnung auszugehen), die andere dieses Phänomen jedoch nicht kennt. Dann nämlich fällt die Autokorrektur im Ohr weg und es kommen vollkommen verfälschte Wörter an. Selbstverständlich werden unverständliche Wörter auch dann korrigiert, allerdings wird unterhalb der Schädeldecke nach viel mehr Möglichkeiten gesucht, worin denn nun genau das Problem bestehen könnte. Gibt es Minimalpaare, also etwa "cob" und "cop" oder "bat" und "bad", die sich nur aufgrund des stimmhaften oder stimmlosen Auslauts unterscheiden und dann auch noch in die selbe Wortfamilie gehören (und, was im Englischen ja ebenfalls eine große Rolle spielt, nicht durch das Wortgeschlecht voneinander unterscheidbar sind), dann ist das Chaos ausgebrochen und man sucht verzweifelt nach den Kaffeetassen (cups), die der nette Hund mit den kleinen Welpen (cub) irgendwo dabeihaben muss.

 

Bei den genannten Beispielen handelt es sich zwar um Spezialfälle, die meisten Wörter sind trotz allem mehr oder weniger erkennbar, nur klingen wir eben immer erkennbar "ausländisch", wenn wir und nicht auf Klang, Melodie und Stimmhaftigkeit von Sprachen einlassen.

Zwar kann man davon ausgehen, dass gerade im Business-Bereich immer darauf abgezielt wird, möglichst zu verstehen, was gemeint ist, da man ja schließlich Geschäfte machen möchte, andererseits zeigen gerade hier Studien, dass Menschen, die mit einem starken Akzent sprechen, weniger Verständnis der Sprache und ihrer Feinheiten und damit auch weniger Scharfsinn für die kleinen Übervorteilungen zugetraut wird, die man dann plötzlich in Verträgen findet, welche einem akzentfreien Sprecher niemals untergejubelt worden wären. Kurzum: Je gekonnter die Sprache, desto gekonnter ist (nach Ansicht der Gegenseite) auch die weitere Leistung unseres Denkapparates. Und das sollte und eben wirklich zu Denken geben.

 

Übrigens:

 

Natürlich gibt es auch im Englischen Fälle, in denen Konsonanten verhärtet (oder andersherum: aufgeweicht) werden, die gerne zitierten "f" zu "v" (in Pluralformen) -Veränderungen haben aber weniger etwas mit der Auslautverhärtung zu tun, sondern hängen vielmehr damit zusammen, dass dem finalen f (dwarf, scarf, shelf) im Plural ein Vokal folgt, welcher den Konsonanten stimmhaft macht (dwarves, scarves, shelves). Das Spiel nennt sich regressive Assimilation und findet sich auch in Wörtern wie house ([s]) und houses ([z]). Heutzutage wird, im Gegensatz zum Altenglischen das eingeschobene "e" zwar nicht mehr mitgesprochen, die Assimilation jedoch bleibt bestehen.

 

Viel Spaß beim Trainieren weicher Endlaute!

 Das fröhliche Apostroph